KLAUS SCHÖNING
HÖRSPIEL - NEUES HÖRSPIEL -
AKUSTISCHE KUNST - ARS ACUSTICA - ARS INTERMEDIA
KLAUS SCHÖNING
HÖRSPIEL - NEUES HÖRSPIEL -
AKUSTISCHE KUNST - ARS ACUSTICA - ARS INTERMEDIA
Kurator
u.a. der sieben Acustica International Festivals (1985-2000)
WDR3 HörSpielStudio - Studio Akustische Kunst
Das
1. Acustica International Festival
fand unter dem programmatischen Titel Komponisten
als Hörspielmacher mit zwanzig mehrmedialen Uraufführungen
der Produktionen des WDR3-HörSpielStudios
und einem Symposion 1985 in Köln statt. Das Festival
summierte einen der wesentlichen Schwerpunkte der Zusammenarbeit der
Redaktion mit internationalen Komponistinnen und Komponisten sowie
Musik- und Literaturwissenschaftlern der letzten Jahre. Aufführungsorte
waren die WDR-Sendesäle, die Musikhochschule Köln und der weite Platz
vor dem Kölner Dom. Begleitet wurden die künstlerischen Ereignisse von
einer Audiothek und der von Klaus Schöning kuratierten ersten
variantenreichen, visuellen Ausstellung von Notationen und Renotationen
Akustischer Kunst im Kölnischen Kunstverein.
Anmerkungen zur 1. Acustica International - Komponisten als
Hörspielmacher
Vom 27. September bis 1.
Oktober 1985 fand in Köln die viertätige, von Publikum und Presse viel
beachtete 1. Acustica International statt. Konzipiert und
organisiert wurde dieses Festival der Akustischen Kunst von Klaus
Schöning WDR3-HörSpielStudio
unter dem Motto Komponisten als
Hörspielmacher. Co-Partner des WDR waren das Kulturamt der
Stadt Köln, die Staatliche Musikhochschule und der Kölnische
Kunstverein.
Eine der Absichten, die Klaus
Schöning mit diesem Festival verbunden hatte, war es - außerhalb der
wöchentlichen Workshop-Sendung im WDR3-HörSpielStudio
- gleichsam wie in einem Focus aufmerksam zu machen auf die
grenzüberschreitende Arbeit zahlreicher Komponisten als Hörspielmacher
und damit verbunden auf die Veränderungen und erweiterten Möglichkeiten
der akustischen Kunst.
Ansätze zu einer Entwicklung Komponisten als Hörspielmacher
finden sich bereits in den zwanziger Jahren; in den fünfziger Jahren
hätten sie erweitert werden können, als - außerhalb der
Radiodramaturgien - zum Beispiel John Cage seine wegweisenden
Tonband-Collagen und Kompositionen mit Radioapparaten realisierte, als
zur selben Zeit im Radio in den Pariser Studios der ORTF Pierre Henry
und Pierre Schaeffer an ihren hörspiel-verwandten Tonband-Kompositionen
der musique concrète arbeiteten.
Als Mitte der sechziger Jahre
zahlreiche Schriftsteller, Regisseure und Dramaturgen die
akustisch/kompositorischen Möglichkeiten des HörSpiels im Radio neu
definierten und entwickelten (Ernst Jandl: „HörSpiel ist ein doppelter
Imperativ!“), die Gleichwertigkeit von Sprache, Musik und Geräusch in
die Ästhetik der akustischen Kunst mit einbezogen und auch das Prinzip
der Collage im HörSpiel einsetzten, erschien es konsequent, dass sich
auch Komponisten verstärkt der vielfarbigen Offenheit und
undogmatischen Ästhetik dieses Neuen Hörspiels zuwandten. Bisher hatten
sie Musik für
Hörspiele komponiert, sie wurden nun zu Hörspielmachern, die ihre
eigenen Hörspielkonzepte als Autor/Regisseure selbst realisierten.
1969 setzte eine Entwicklung
ein, die im WDR bis heute (1985) zu über 60 Realisationen
internationaler Komponisten als Hörspielmacher für die Redaktion
führte. Mauricio Kagel definierte: „Das Hörspiel ist weder eine
musikalische noch eine literarische, sondern lediglich eine akustische
Gattung unbestimmten Inhalts.“ Dieser Definition folgend realisierte er
bisher zehn Hörspiele für das WDR3-HörSpielStudio.
Die Konzeption der Redaktion war von Anfang an, komplementär zur
Produktion von Hörspielen, auf die perspektivische Erforschung neuer
Tendenzen innerhalb der akustischen Kunst angelegt.
1970 fand diese Entwicklung
einen programmatischen Ausdruck in der bis heute bestehenden Reihe Komponisten als Hörspielmacher.
Im selben Jahr kam es im Rahmen der Kölner
Kurse für Neue Musik, geleitet von Mauricio Kagel, zum
ersten Komponisten-Hörspiel-Seminar mit dem Arbeitstitel Musik als Hörspiel, einer
Kooperation zwischen dem WDR-Hörspiel und der Rheinischen Musikschule.
In dem mehrwöchigen Verlauf dieser Kurse lernten junge Komponisten
Hörspieltheorie und -praxis kennen und produzierten drei Hörspiele, die
– zu dieser Zeit noch ungewöhnlich – im WDR-Sendesaal öffentlich
aufgeführt, diskutiert und gesendet wurden.
1975 führte Klaus Schöning
ein weiteres Hörspiel-Seminar für Komponisten auf den Internationalen
Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik durch. Obschon Hörspiele von
Komponisten nicht im Zentrum des Programmangebots der Sender stehen und
ihre Rezeption zuweilen einige unerwartete Anforderungen an den Zuhörer
stellt, haben sie die allgemeine Ästhetik und Praxis des Hörspiels als
eigentlich akustischer Kunst weiter fundiert. Viele dieser
Komponisten-Hörspiele sind von internationalen Radiostationen
übernommen, mit Preisen ausgezeichnet und auf Festivals vorgestellt
worden. In zahlreichen Sendungen wurde ihre Ästhetik analysiert.
Eine weitere Absicht dieses
Festivals war es, über die Sendung hinaus, Erfahrungen zu sammeln,
inwieweit es für das HörSpiel möglich ist, zum Initiator von
öffentlichen Präsentationen zu werden. Die Produktion von HörSpielen
wird vor einem Publikum nach draußen verlagert, visuelle Komponenten
kommen hinzu, verändern die Rezeption. Das Ereignis ist jedoch ins
Radio eingebunden, sei es als Live-Sendung oder als Mitschnitt für
spätere Sendungen. Eine Situation, die für Konzerte der Musik im Radio
gängige Praxis ist, die das HörSpiel bisher jedoch nur in Ansätzen
konsequent wahrgenommen hat.
Das Hörspiel hatte
jahrzehntelang in seiner schon frühen Abwendung von der darstellenden
Schau-Bühne zur inneren Bühne und im einsamen (Radio-)Hören sein
Selbstverständnis gefunden. Das akustische Medium Hörspiel kam also im
Gegensatz zum akustischen Medium Musik ganz ohne die Sichtbarkeit von
Ausführenden vor einem Publikum aus. Die Unsichtbarkeit der Darbietung
übers Radio entspricht der Unsichtbarkeit des anonymen Hörers vor dem
Lautsprecher. In Erinnerung gerufen seien jedoch Versuche Ende der 20er
Jahre, das Hörspiel mit anderen Medien zu verbinden, die Bertolt
Brecht, Paul Hindemith, Kurt Weill und der erste Intendant des WDR,
Ernst Hardt unternahmen, um zum Beispiel den Lindbergh-Flug
von Brecht
als Konzert vor Publikum auf der Bühne aufzuführen und zu senden.
Erinnert sei an die Versuche des Cineasten und Hörspielmachers Walther
Ruttmann, eine Hörspiel/Filmsprache durch Montage zu entwickeln. Die
allgemeine Hörspielproduktion nahm an diesen Möglichkeiten nicht teil,
und so übernahmen die Filmemacher die weitere Entwicklung des HörSpiels
im Film, machten den Film zum Ton-Film und das Hörspiel zum Filmton.
Bis heute blieben die Möglichkeiten des HörSpielfilms, des
FilmhörSpiels, in dem beide Medien gleichberechtigt und komplementär
sich verbinden, nahezu ungenutzt.
Die in den letzten fünfzehn
Jahren in der Reihe Komponisten als
Hörspielmacher gesendeten Hörstücke sind eigenständige
akustische Werke, die zum konzentrierten und auch mehrmaligen Hören
anregen. Es sind jedoch diese akustisch „diffizilen musikalischen“
HörSpiele, die häufig zu mehrmedialen Aufführungen bei Festivals, in
Theater-, Konzert-, Kinosälen und in Kirchen eingeladen werden. Die
bisher längste Spielzeit mit über 25 Produktionen sprachmusikalischer
Hörspiele veranstaltet der WDR zusammen mit der Alten Oper seit über
zwei Jahren in Frankfurt. Mit dem verstärkten Interesse der
Audio-Artisten, Performance-Künstler und Komponisten am HörSpiel wird
eine jahrzehntelang uneingelöste Möglichkeit, die öffentliche
Vorführung von HörSpielen, wieder neu belebt, reflektiert und
ausprobiert.
Dass diese Versuche beim
Publikum auf Interesse stoßen, machte auch die 1.Acustica
International deutlich. Neben öffentlichen
Lautsprecher-Konzerten hat die Redaktion in den letzten Jahren
vielfältige Formen der Präsentation von HörSpielen weiterentwickelt:
die HörSpiel-Performance, das Raumklang-Konzert, das Film- und
Fernseh-HörSpiel, die KlangSkulptur, das HörSpiel-Ballett.
Einige Beispiele: Das
Hörspiel Roaratorio. Ein irischer
Circus über Finnegans Wake von John Cage zeigt in immer
neuen Varianten das Transitorische seiner medialen Möglichkeiten: als
HörSpiel fürs Radio und als Raumklang-Konzert über viele Lautsprecher,
als Live-Performance mit John Cage und irischen Musikern, dazu seine
polyphone Raumklang-Komposition vom Tonband, als HörSpielBallett,
getanzt von der Merce Cunningham Dance Company bei den Festivals in
Lille, Avignon und Frankfurt. HörSpiele in szenisch-musikalischer Form
werden auch seit einigen Jahren in der Nachtmusik
im WDR vor Publikum öffentlich vorgestellt und
gleichzeitig gesendet. So etwa Mauricio Kagels Rrrrrrr
…. Hörspiel über eine Radiophantasie, dazu
stumm auf der Bühne agierend synchron/asynchron zur eigenen Stimme von
Tonband der Schauspieler Gert Haucke. Aus diesem HörSpiel-Theater wurde
später das Fernsehspiel Er von
Mauricio Kagel. Ebenfalls in der Nachtmusik
im WDR Vinko Globokars Hörspiel Individuum/Collectivus
13 C mal acht als Tonbandstück mit Live-Improvisationen
der Musiker, und Juan Allende-Blins Rapport
sonore. Relato sonoro. Klangbericht als Raumklang-HörSpiel
über 16 Lautsprecher.
Die 1.Acustica
International stellte so in einem konzentrierten
Ausschnitt die Vielfalt dieser Entwicklungen in einem allen
zugänglichen offenen Produktionsprozess vor. Eingeladen waren nahezu
alle Komponisten, mit denen die Redaktion bisher gearbeitet hatte: John
Cage, Mauricio Kagel, Dieter Schnebel, Bill Fontana, Malcolm Goldstein,
Alison Knowles, Gerhard Rühm, Juan AIlende-Blin, Henri Chopin, Clarenz
Barlow, Carola Bauckholt, Hans Otte, Robert HP Platz, Pierre Henry, Tom
Johnson, Charlie Morrow, Stephan Wunderlich, Peter Behrendsen, Vinko
Globokar. Hinzu kamen Wissenschaftler und Autoren wie Franz Mon,
Ferdinand Kriwet, Rudolf Frisius, Reinhard Döhl, Heinz-Klaus Metzger,
Klaus Ramm, Michael Schäfermeyer, Jerzy Tuszewsky und Heinrich Vormweg.
Sie hatten zusammen mit den Komponisten im HörSpielStudio
seit Jahren in zahlreichen Sendungen das Hörspiel im Grenzbereich
zwischen Musik und Literatur analysiert.
Über 20 HörSpiele wurden auf
der 1.Acustica International
von ihren Komponisten in einem viertägigen, von morgens bis Mitternacht
ablaufenden Programm in zumeist mehrmedialen Aufführungen vorgestellt.
In das Festival integriert waren fünf Forum-Veranstaltungen, in denen
unter thematischen Schwerpunkten Vorträge gehalten wurden. Beginnend
mit einer Spurensuche von Juan Allende-Blin zur Archäologie des Hörspiels,
einem Essay von Reinhard Döhl über die Korrespondenz von Musik und Hörspiel im Radio,
einem Essay von Heinz Klaus Metzger Über
die Vorteile des Unsichtbaren, einem Referat von Rudolf
Frisius über Hörspieltheorie und
Musiktheorie und einem Vortrag von Gerhard Rühm über musiksprache – sprachmusik.
Diese Vorträge wurden ebenso wie sämtliche HörSpiel-Aufführungen
mitgeschnitten und im WDR3-HörSpielStudio
gesendet.
Parallel zu den
Veranstaltungen hatte Klaus Schöning eine Ausstellung und Audiothek Partituren und Notationen der Ars Acustica
im Kölnischen Kunstverein vom 27. September bis 6. Oktober
eingerichtet. Ausgestellt wurden dort erstmals HörSpiel-Partituren:
Weder Hörspieltexte noch eigentlich Partituren waren es Aufzeichnungen
der Werke der Komponisten und Klangkünstler von Materialkomplexen,
Fixierungen sprachlicher, akustischer oder technischer Verläufe,
erfundener, kryptischer Zeichen, Zeitachsen und Tabellen: pragmatische,
ganz auf die akustische Realisierung im Studio bezogene Arbeitsblätter
im künstlerischen Entstehungsprozess. In einer eigens eingerichteten
Audiothek waren sämtliche für das WDR3-HörSpielStudio
produzierten Komponisten-HörSpiele über Kopfhörer zu hören. Die
Audiothek ist auch beim Festival Inventionen’86
- Sprachen der Künste in Berlin zu Gast.
Nirgends als in der Vielfalt der HörSpiel-Notationen und -Realisationen von Komponisten wird deutlicher, wie sehr das Hörspiel heute seine Möglichkeiten, autonome akustische Kunst zu sein, erweitert hat. Nirgends wird deutlicher, wie fragmentarisch - und wie präzise - diese akustische Kunst sich schriftlich notieren lässt. Das Tonband ist gleichsam das Pergament der Notation. Notationen und Renotationen von HörSpielen können auch zu visuellen Ereignissen werden, zu visueller Kunst. (Ebenso wie die schriftlichen Beschreibungen akustischer Ereignisse des HörSpiels zu Literatur werden können.) HörSpiel fluktuierend in vielen Medien.
Gleichsam akustisch
eingebettet waren die Veranstaltungen vom ersten bis zum letzten Tag in
die große akustische KlangSkulptur Metropolis
Köln von Bill Fontana, in der Hunderte von Geräuschen und
Tönen der Stadt Köln auf dem Platz vor dem Dom live übertragen wurden.
18 Mikrophone nahmen die Geräusche des Rheins, vier Kölner Brücken, der
Glocken der romanischen Kirchen, der Fußgängerzonen, des Zoos und des
Hauptbahnhofs auf; über 18 Lautsprecher auf dem Domplatz wiedergegeben,
entstand eine urbane Klangkomposition der Stadt Köln. Es war das
längste Open-Air-Hörspiel in der Geschichte und stieß auf
außerordentlichen Zuspruch der Bevölkerung. Ein lang anhaltendes
Konzert, das die Domstadt selbst intonierte. Eine Stunde live gesendet
wurde dieses klingende Köln auch über WDR3 am Samstagmittag, wobei
eigens sechs Geläute romanischer Kirchen aktiv an der Sendung beteiligt
waren. (Für 1987 bereitet die Redaktion in Köln eine erste
transatlantische Ohr-Brücke über Satellit vor, die die KlangSkulpturen
der beiden Städte San Francisco und Köln miteinander verbinden soll.)
Auf dem Platz vor der
Kathedrale dann ein HörSpiel als Theater-Performance: Mauricio Kagel in
der Rolle seines Tribun. Für einen
politischen Redner, Marschklänge und Lautsprecher, für das
der Komponist seinerzeit mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden
ausgezeichnet worden war. „Kagel sprach den Tribun auf dem
Roncalliplatz so echt, traf den Ton demagogischer Rede so genau, dass
ein Passant mich verschüchtert fragte, wer denn der Redner sei und zu
welcher Partei er gehöre. Behaupte noch einer, Radiokunst habe mit
Wirklichkeit wenig gemein, sei ein ästhetisches Elite-(Miss)-Vergnügen.“ (Ekkehard Skoruppa, epd, 9.10.85). Am Abend im großen
Sendesaal des Funkhauses stellte Gerhard Rühm erstmals als
Hörspielkonzert sein ebenfalls ausgezeichnetes Werk Wald, ein deutsches Requiem, ein
dokumentarisches Stück über das Waldsterben, vor, „das den
hörer zu eigener stellungnahme provozieren will“ (G. Rühm). Danach zwei
HörSpiel-Uraufführungen als Live-Performances: Die Fluxus-Künstlerin
Alison Knowles mit Papier-Wetter
und Malcolm Goldstein mit The edges
of sound within. Beispiele der Performance-Kunst und der
Minimal Art, die insbesondere in den USA entwickelt wurden und seit
einiger Zeit eine produktive wechselwirkende Verbindung mit den
Aktivitäten des WDR3-HörSpielStudios
eingegangen sind.
Im zweiten Teil des Abends,
in einer Raumklang-Aufführung über acht Lautsprecher Muoyce (Music + Joyce). John
Cage intonierte flüsternd seinen laut-poetischen, meditativen Text,
begleitet von mehreren Tonband Einspielungen des Muoyce Textes mit seiner Stimme
und den zehn Donnerschlägen aus Finnegans
Wake von James Joyce. Konsequente Überführung des
flüsterndes Sprechens bis an die Grenzen des Schweigens. „Sounds are
only bubbles on the surface of silence.“ Kontrapunkt zum lautfarbigen Roaratorio. „Silence sometimes
can be very loud.“ Muoyce
und Roaratorio: zwei
unterschiedliche Aspekte ein und derselben Erfahrung.
Die Matinee am
Sonntagvormittag mit zwei Live-Performances und zwei
HörSpiel-Tonband- Vorführungen: Henri Chopin eröffnete mit einem
artikulatorischen Audio-Poem: der Poesie
sonore, der Lautpoesie, die sich spontan
vermittelt. Auflösung der Sprachen in Lautsprache wie bei John Cage,
Malcolm Goldstein, Henri Chopin. Überführung in eine allen
verständliche Sprache. Utopischer Entwurf der Künste in
vielen medialen Artikulationen dieses Jahrhunderts.
Verlust der Sprache als
Regression, als schmerzlicher Verlust von Sprache in: Muttersprachlos von Juan
Allende-Blin: eine dokumentarische Komposition über das Schicksal einer
jüdischen Schriftstellerin. In seinem Traumgesang
reagierte Charly Morrow vor dem Mikrophon mit seiner Stimme spontan auf
das Gehörte. Ebenfalls eine Uraufführung: Die
gestohlenen Klänge, ein satirisches HörSpiel auf den
aktuellen Musikbetrieb von Vinko Globokar. Das Thema der gestohlenen
Klänge setzte Vinko Globokar am Abend fort mit der Uraufführung seiner
musik-theatralischen Performance Konsequenz
der Konsequenz. Das übergreifende Thema Hörspiel in vielen Medien, das
das gesamte Festival in unterschiedlichen Facetten charakterisierte,
wurde auch in den anderen Beiträgen weiter ausgeführt.
John Cage trug sein für die 1. Acustica International
geschriebenes Mesostichon h2
WDR vor. Dieter Schnebel, der in den letzten Jahren zwei
HörSpiele realisiert hatte, intonierte gleichsam als akustischen Keim
eines neuen Projektes seine artikulatorischen An-Sätze
für Selbst- und Mitlaute. Mediale Varianten einer
künstlerischen Idee veranschaulichte die simultane Präsentation von
zwei Werken Mauricio Kagels: einem HörSpiel und einem Fernsehspiel.
Reaktionen eines Hörers auf das Musikprogrammangebot des Radios.
Während das HörSpiel Rrrrrrr …
Hörspiel über eine Radiophantasie über WDR 3 gesendet
wurde, war das Fernsehspiel Er von
Mauricio Kagel, dessen Soundtrack das HörSpiel bildete, im
WDR-Sendesaal zu sehen und zu hören. Im Anschluss daran stellte Stephan
Wunderlich sein mit dem diesjährigen Karl-Sczuka-Preis ausgezeichnetes
WDR-Hörstück Tagesproduktion
vor.
Am Abend die Uraufführung
eines weiteren audio-visuellen Werkes: der HörSpielfilm La Ville /Die Stadt - Metropolis Paris/Berlin.
Pierre Henry hatte seine Klangkomposition über Paris (WDR 1984) mit
einem dokumentarischen Montagefilm (1927) von Walther Ruttmann über das
Berlin der zwanziger Jahre für die 1.Acustica
International „synchronisiert“. Er führte dieses
„Film-Konzert“, wie er es nannte, über acht Lautsprecher vor. Erstmals
als Raumklang-Kompositionen über mehrere Lautsprecher zu hören waren
die beiden Hörspiele Requiem
von Robert HP Platz und CCU
von Clarenz Barlow, eine polyphone Metropolis-Klangkomposition über
Kalkutta.
Die Veranstaltungen am
vierten Tag fanden in der Musikhochschule Köln statt. Mauricio Kagel
stellte anhand von Tonbeispielen spezifische Aspekte seiner
umfangreichen Hörspielarbeit vor. Die Hörspiel-Aktivitäten in
Universitäten, Schulen und der Musikhochschule Köln, sowie die
Rezeption der akustischen Kunst im Spiegel der Presse wurden in
Arbeitsberichten und Referaten vergegenwärtigt. Konkrete Ergebnisse
junger Komponisten mit dem Hörspiel waren in einem anschließenden
Tonband-Konzert zu hören. Am Abend dann in einer Live-Sendung das
HörSpiel-Klavierkonzert von und mit Gerhard Rühm Kleine Geschichte der Zivilisation,
„das keiner worte bedarf, dessen ,geschichte‘ in der konfrontation von
musik und geräusch unmittelbar sinnfällig wird“ (G. Rühm). Daran
anschließend zum ersten Mal in Köln als Raumklangereignis über 42
Lautsprecher das Roaratorio
von und mit John Cage. Er sprach und sang seinen mesostischen Finnegans Wake-Text, begleitet
von zwei irischen Musikern und der Einspielung seiner roaratorischen
Klangkomposition aus über zweitausend Geräuschen. (Eine „Sternstunde“,
schrieb eine Kritik.) Diese akustische Kosmogonie aus menschlichen
Stimmen, Geräuschen, Naturlauten und Musik leitete gleichsam das Finale
der 1.Acustica International
ein, die am darauf folgenden Tag ausklang in der urbanen KlangSkulptur Metropolis Köln auf dem Platz
vor der Kathedrale.
Die Verteilung der einzelnen
Events auf wechselnde verschiedene Plätze und Räume, der Wechsel der
Präsentationsformen von Raumklang-Konzerten zu KlangSkulpturen, von
Live-Sendungen zu HörSpielfilmen, von Performances zu Vorträgen, der
Wechsel von drinnen und draußen, folgte einer offenen Dramaturgie, die
„die Radiokunst in Bewegung“ zeigte. Jede Veranstaltung war eingebunden
in den inszenierten Zusammenhang eines vier Tage dauernden Ereignisses,
an dem das Publikum - als Ganzes oder in einzelnen autonomen
Teilen teilnehmen konnte. Ein multipler Erlebniszusammenhang, in dem
künstlerische Praxis und Reflektion eine Einheit bildeten. Ein
Symposion, ein gastliches Treffen, das einlud mit offenen Augen zu
hören.
Ein scheinbares Paradox wurde evident: Hörspiel als autonomes akustisches Werk fürs Radio und gleichzeitig initiatorischer Teil eines mehrmedialen künstlerischen Ereignisses. HörSpiel in selbstbewusstem Dialog - nicht in provinzieller Ausgrenzung - zu den sich im Fließen befindlichen Prozessen einer allgemeinen künstlerischen Entwicklung. Radio als motorischer kultureller Faktor. Das Festival hat in seinen grenzüberschreitenden Fragestellungen und seinem experimentierenden Charakter Anregungen gegeben für ein erweitertes Selbstverständnis von Hörspielmachern und denen, die HörSpiele machen lassen. Eine der weitereichenden Konsequenzen für die Arbeit des HörSpielStudios ist der von Klaus Schöning konzipierte mit dem neuen Preis Acustica International verbundene Produktionswettbewerb des WDR zur Förderung der akustischen Kunst auf internationaler Ebene.
Resonanzen:
„Radiokunst hat in diesem Jahr ihr Medium erstmals publikumswirksam
verlassen. Es gibt Anzeichen dafür, dass dem Hörspielfreund um die
Zukunft der akustischen Kunst nicht bange sein muss.“ (Süddeutsche
Zeitung, 3.1.86)
„Das Hörspiel sprengt das
Radio. Seitdem sich jenseits des traditionellen literarischen Hörspiels
eine akustische Kunst entwickelt hat, in der Sprache, Geräusch und
Musik gleichberechtigt nebeneinander stehen, haben Komponisten
radiophone Ausdrucksmittel benutzt und das Hörspiel durch Berührungen
mit Tanz, Theater oder Live-Musik zu einer Performance-Kunst
erweitert.“ (Kölnische Rundschau, 30.9.85)
„Für manche überraschend: das
Publikum strömte hinein.… Es war an der Zeit, einmal die
formsprengenden, gattungsübergreifenden Innovationen des
Komponisten-Hörspiels, das in erheblichem Maß die Ästhetik der
Radiokunst mitbestimmt, in seiner Vielfalt gebündelt vorzustellen. …
Dass dabei noch immer Hörspiel- und Konzertgewohnheit erschüttert und
das Kunstverständnis von Zeitgenossen strapaziert werden kann, spricht
nicht gegen, sondern für die Experimente. … ein Auswärtsspiel für das
Hörspiel, ein Umweg über den Ausnahmezustand ,Festival‘, einer, der die
vielfältigen Präsentationsformen rechtfertigte, der nicht zuletzt auch
dem Hörspiel im Medium zugute kommen kann. … Ein lohnender Versuch, den
Dialog um das Hörspiel aus den heiligen Rundfunkhallen in eine
unmittelbarere Öffentlichkeit zu tragen. ,Ein Anfang‘, so Mauricio
Kagel, ,– Fortsetzung folgt.‘“ (Evangelischer Pressedienst, Kirche und
Rundfunk, 9.10.85)
„Ein ungelöstes Rätsel, wie
man ein Neues Hörspiel, welches bislang ein intimes Hörerlebnis
beabsichtigte, auf die Bühne zu bringen habe. Die Sprache als
Bedeutungsträger zu eliminieren wäre der falsche Weg des Neuen
Hörspiels.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.10.85)
„Da das traditionelle
Hörspiel von der Sprache her definiert ist, empfinden wir Sprache
hörspielgerechter als bloße Klänge. Definiert sich das Hörspiel durch
seinen Sprachanteil? Nein. Es definiert sich überhaupt nicht.“
(MusikTexte. Zeitschrift für Neue Musik, Oktober 85)
„Die Performances waren
konstitutives Element dieses Festivals; die Ausweitung der Hörerfahrung
vom einsamen Lautsprecherhören zum Erleben der Produktion durch den
Komponisten vor Auditorium war mithin, soweit man das auch von sich
weisen mag, auch eine mediendidaktische Maßnahme. Es waren in den
meisten Fällen Anstiftungen zum Hör-Spielen. Man wünscht sich solche
Anstiftungen noch in weiteren Festivals, in einer Fortsetzung mit einer
2. Acustica International.“
(Funk-Korrespondenz, 4.10.85)
„Ein Festival, das Zuhörer in
wachsender Zahl anzog. Morgens, mittags oder abends - die Säle waren
meist ausgebucht. Die Gründe: noch nie sind - von John Cage bis Gerhard
Rühm, von Mauricio Kagel bis Pierre Henry, von Alison Knowles bis Juan
Allende-Blin - so viele Komponisten, die Hörspiele machen,
zusammengekommen. Und wohl noch nie ist der ,Reichtum der akustischen
Kunst‘ ... so vielseitig und so animierend an einem Ort hörbar geworden
… Im Hörspiel geschieht noch immer vieles von dem, was in den
vielfältigen künstlerischen Bemühungen tatsächlich in die Zukunft
weist. So jedenfalls demonstrierte es die 1.
Acustica International.“ (Heinrich Vormweg in seinem
WDR-Kommentar zur 1. Acustica
International und in der Süddeutschen Zeitung, 10.10.85).
Blättert man weiter in den
zahlreichen Pressemeldungen und Kritiken und hört die Sendungen, die
über dieses Festival berichteten, so ist der Tenor überaus freundlich.
Zuweilen stellt sich Verwunderung darüber ein, dass gerade diese
„experimentelle“ Form des HörSpiels, die eine internationale Tendenz
verdeutlicht, auf eine so breite Resonanz stoßen konnte. Dies mag jenen
zu denken geben, die dem HörSpiel als akustischer Kunst, in Unkenntnis
seiner Vitalität und unberechenbaren Kreativität für die Zukunft nur
wenig Chancen einräumen möchten.
John Cage, der 73jährige
Senior des Festivals, dessen Schaffen ein einziger Hinweis ist auf den
Reichtum der akustischen Kunst, hatte in seinem Poem für die 1. Acustica International h2 WDR im letzten Satz einen
Slogan einer US-Radiostation zitiert. Dieser könnte wie eine
Aufforderung der Komponisten als Hörspielmacher verstanden werden,
nicht nur an die Hörer, sondern auch an die Programmacher des Radios:
„You give us twenty-two minutes we'll give you the world.“
*
Das 2. Acustica International Festival
des Studios,
veranstaltet zusammen mit zwei Goethe-Instituten, fand 1990 mit
fünfzehn amerikanischen und deutschen Komponisten und fünfundzwanzig
Live-Performances von WDR-Produktionen an drei Abenden im Equitable
Center des Whitney Museums, New York statt. Eingeleitet von der
mehrwöchigen Klangraum-Installation American
Art at WDR mit zahlreichen Produktionen des Studios in der
renommierten Video Gallery des Museums, sowie einer Panel Diskussion
zum gleichen Thema im Equitable Center Auditorium.
In Montreal fand das Festival
mit kanadischen und den deutschen Künstlern und ihren Performances
seine Fortsetzung.
*
Das 3. Acustica International Festival wurde 1994 innerhalb der MusikTriennale in Köln zum Thema Der Klang des Jahrhunderts mit intermedialen Performances veranstaltet: dem Hörkabinett Klangreise in die Akustische Kunst mit 150 Werken des Studios, einer Nonstop-Audio- und Video-Präsentation, sowie open-air auf dem Roncalliplatz vor dem Kölner Dom das audiovisuelle Film-Lautprecherkonzert: La ville. Die Stadt. Metropolis Berlin–Paris von Pierre Henry/Walter Ruttmann. Das bimediale Werk, eine Symbiose des Hörspiels La Ville. Die Stadt Metropolis Paris von Pierre Henry und des Stummfilms Berlin. Die Sinfonie der Großstadt von Walter Ruttmann, wurde von Pierre Henry in Köln 1985 anlässlich des 1. Acustica International Festivals im Grossen Sendesaal des WDR uraufgeführt.
*
Das 4. Acustica International Festival
entsprach 1996 einer Einladung der Europäischen Kulturhauptstadt
Kopenhagen. In Köln lag der Akzent der zahlreichen Live-Events und
Performances in der Gestaltung von Innenräumen. In Kopenhagen außen auf
sechzehn open-air CitySoundscapes des Studios
an acht von Klaus Schöning ausgewählten urbanen Örtlichkeiten der
dänischen Metropole. Parallel dazu waren in Roskilde/Dänemark im Museum
für Intermediale Kunst sechs Monate lang eine Lydrejse/Klangreise mit
100 Werken des Studios in einem Klangkabinett
zu hören, sowie einer die Arbeit des Studios Akustische Kunst
dokumentierenden Ausstellung. Über zweitausend Menschen besuchten diese
Installation.
*
Das umfängliche Festival 5. Acustica International 1997,
war erneut als eigenständiger Beitrag in die MusikTriennale
Köln integriert. Dem Themenschwerpunkt Der
Klang dieses Jahrhunderts entsprechend stellte das Studio
Akustische Kunst sechs Uraufführungen vor, darunter ein spatiales
U-Bahn-Tunnelkonzert von Bill Fontana. In einem Klangraum wurde in
einer Retrospektive die Entwicklung der jahrzehntelangen, vielfältigen
Aktivitäten des Studios in einer Klang-Video- und Foto-Ausstellung und
einem umfassenden Buchkatalog seines bisherigen Repertoires
dokumentiert, außerdem wurden der HörFilm La
Ville. Die Stadt Metropolis Paris-Berlin und der
WDR/3SAT-Film Akustische Kunst oder
die Welt hörend sehen vorgestellt. Das Festival wurde
begleitet von dem zweitägigen Symposion Akustische
Kunst: Medienkunst mit internationalen Künstlern und
Medien-Wissenschaftlern.
*
Das 6. Acustica International Festival
fand 1999 ebenfalls in Köln statt und hatte intermediale Begegnungen
mit Performances zum Thema: Akustische
Kunst trifft: Film, Video, Tanz, sowie einer weiteren
Verleihung des Prix Ars Acustica
des WDR.
*
Das 7. Acustica International
Festival, (zugleich das letzte) fand im Jahr 2000 mit Performances und
Installationen in zwei Metropolen in Köln und San Francisco statt: In
Köln anlässlich der MusikTriennale
2000 zum Thema Die
menschlichte Stimme in den Sendesälen des WDR und einem
Argentinischen Abend mit argentinischen Komponisten in der
Trinitatiskirche in Köln: Live Electronic Uraufführungen und Tanz,
sowie open-air die Metropolis-Installation Akustische
Visionen von Venedig im Museum für Angewandte
Kunst, außerdem das Hörkabinett
Stimmen/Voices mit über 60 Werken aus dem umfangreichen
Stimmen-Repertoire des Studios.
In San Francisco auf
Einladung des Goethe-Instituts an zwei Abenden unter dem Titel Ars Acustica International: Performances Aufführungen
im Yerba Buena Center for the Arts und den Dolby Laboratories, zudem
eine mehrwöchige Raumklang-Installation mit Produktionen des Studios
Akustische Kunst im Museum of Modern Art von San Fransisco.